AGFA Selectronic 3

Hier nochmal eine Kamera aus meiner Jugend oder eher Twen-Zeit. 

Etwas blamabel für die Weltfirma AGFA, hatte dieses deutsche Unternehmen in den 70'ern nichts zum lustig weiterboomenden Spiegelreflexmarkt beizutragen. Früher mit allerlei einfachen Mittelformatkameras und Kleinbild-Spiegelreflex vertreten und auch mit teils sehr wertigen Sucherkameras recht stark im Kleinbildsektor oder rege und innovativ im Halb- und Pocketformat aktiv, gab es in den 70'ern leider keine neuen Spiegelreflexkameras von der Firma. AGFA verkaufte überwiegend Kompaktkameras, die sich hauptsächlich durch Features unterschieden und forcierte die Pocketkameras später sehr mit den unnachahmlichen "Ritsch Ratsch Klick". 
Der Spiegelreflexmarkt boomte jedoch immer noch und auch AGFA wollte davon profitieren. Man beschloß allerdings Kosten zu sparen und sich, wenigstens äußerlich selbst designte, Kameras zuliefern zu lassen. 

Man wandte sich an die Firma Chinon. Bekannt für solide, aber meist doch eher einfachere Kameras, eher schlichterer bis mittlerer Verarbeitungsqualität. Aus den Modellen Chinon CM-4, CA-4 und CE-4 wurden ab etwa 1980 die äußerlich doch deutlich veränderten Agfa Selectronic 1, 2 und 3. Erstere bietet keinerlei Automatik, die zweite wenigstens eine Zeitautomatik (aber keinen manuellen Betrieb) und die Selectronic 3 dann schließlich manuellen Betrieb plus Zeitautomatik. Das Gute daran war, daß die Kameras das weit verbreitete, weil systemoffene Pentax K Bajonett hatten und man so auch viele Objektive anderer Marken oder von Drittherstellern wie Sigma, Soligor oder Cosina verwenden konnte. 
Das (für AGFA) Schlechte war, daß erstens die originalen Chinon schon günstiger waren und es zu allem Überfluß auch noch andere Derivate der drei Modelle gab. So ließ etwa Quelle die gleichen Chinon-Modelle  etwas verändert als Revue AC Kameras herstellen und sogar die normalerweise durch allerhöchste Qualität bekannte schweizerische Marke ALPA ließ die Chinon CE-4 unter eigenem Namen herstellen. AGFA kam auf die Idee die Kameras nur über Agenturen und speziell abgetrennten Bereichen der Kamerahändler zu verkaufen, um (ähnlich bei Hifi die Firma Telefunken) Exklusivität vorzugaukeln und die hohen Preise zu rechtfertigen. Das ging schief, die Kundschaft kaufte wohl eher die billigeren Marken, oder wenn so teuer wie die Agfas, dann lieber teils weit besser ausgestatte Minolta, Nikon, Olympus und Canon etwa, die auch gleich eine höhere Qualitätsanmutung mitbrachten. Das bezieht sich übrigens rein auf die Haptik, denn all die Chinon, AGFA, Revue und ALPA sind durchaus sehr funktionale Kameras die selbst heute noch zuverlässig arbeiten. 
Wer die AGFA Selectronic sah, war damals oftmals begeistert, denn das futuristische Softdesign mit dem riesigen orangefarbenen Sensorauslöser war optisch schon eine Wucht. Wer aber etwa die Anfassqualität einer Voigtländer VSL, Rollei SL oder Leica R3 erwartete, wurde herbe enttäuscht, es war eben doch bloß einfachere japanische Mittelklasse mit sehr sehr viel Kunststoff. Und es fehlte an vielem, denn es gab weder Spotmessung noch schnellere Zeiten als 1/1000sek. die schon damals bestenfalls unteren Durchschnitt darstellten. Das Ganze war AGFAs letzter und kostspieliger Versuch mit Spiegelreflexkameras etwas zu reißen.

Trotzdem finde ich die drei Kameras und besonders die Selectronic 3 sehr hübsch. Die Belichtungszeiten rund um den auffälligen und riesigen orangefarbenen Sensorauslöser, das große "AGFA" auf dem sehr hübsch designten Prismengehäuse, die abgerundeten Kanten und matte Beschichtung des Bodys, der Schnellspannhebel mit gleicher Form wie bei den weit kleineren Kompaktkameras wie etwa der AGFA Optima Sensor Flash. Das alles hatte was und hat heute einen etwas eigentümlichen, aber nicht uninteressanten Retrolook aus den 80'ern.

Wenn man sich die Kamera einmal genauer anschaut, kann man sie nur mögen oder nicht, dazwischen gibt es wohl nichts. Vorne übrigens der zweistufige und rein elektronische Zeitauslöser mit 5 und 10 Sekunden Vorlauf und rot blinkender Leuchte. Rechts darüber der Abblendhebel zur Überprüfung der Tiefenschärfe. Direkt darunter der Taster zur Bajonettentriegelung. Über dem Schriftzug "Selectronic" schaut ein kleiner Schraubenkopf heraus. Das etwas eigentümliche Teil dient nach vorne geschoben zum Aushebeln des Filmtransports zwecks Mehrfachbelichtung und ist bei allen anderen Marken dieses Modelles als kleiner Schalter vor dem Auslöser ausgeführt. Das Exakta Objektiv ist übrigens Deko, es kam leider defekt:


Hinten ist sie eher unspektakulär, bis auf den eigenwillig geformten Filmmerkhalter. Der Sucher ist normal groß und präsentiert links die Zeiten, die jeweils von einer rot blinkenden LED angezeigt werden. Der recht hübsche Schnellspannhebel ist leider aus Kunststoff und wirkt etwas labberig, was den "Qualitätseindruck" nachhaltig manifestiert:


Von oben ist auch wieder der sehr große Sensorauslöser präsent, der übrigens wirklich deutlich ruhiger auslösen läßt, aber kein wirklicher Sensor, sondern bloß eine stabile Folie über einem Microtaster ist. Links die ISO Einstellung, damals hieß es noch ASA. Vorne rechts vom Auslöser sieht man klein die separate Buchse für einen Drahtauslöser. Das Zeitenrad dient gleichzeitig zum ein und ausschalten. Die Blitzsynchronisation lag bei damals schon etwas lahmen 1/60sec. Und die schnellste Zeit liegt wie gesagt bei 1/1000sec:


Hier sind nochmal Details wie der Zeitauslöser, die Abblendtaste und die etwas merkwürdige Schraube zur Mehrfachbelichtung zu sehen, die dem Ganzen einen technisch-metallischen Touch gibt und eine Wertigkeit vortäuscht, welche die Kamera leider nicht halten kann:


Auf der anderen Seite eine Blitzbuchse, sowie der kleine Taster zur Messwertspeicherung. Ein wichtiges Teilchen, denn selbst einfache Belichtungskorrektur bot diese  äußerlich so modern wirkende Kamera nicht, oder man mußte das über die Empfindlichkeitseinstellung selber machen:


Unten dann wenig spektakuläres. Die silberfarbene Abdeckschraube des Batteriefaches, die dankenswerterweise drei noch zuhauf produzierte LR44/SR44 Batterien beherbergt. Ganz rechts die Kontakte für den optionalen Winder und ganz links dessen Zugriff auf  Filmtransport/Verschlußaufzug. In der Mitte das Stativgewinde:


Wie schon erwähnt, ist auf der komfortableren Seite das verbreitete Pentax K Bajonett zu verbuchen. Ganz klarer Vorteil, denn Objektive gab es damals wie heute zuhauf dafür:


Der optinale Winder ist heute sehr selten geworden, aber es würde zur Not auch der originale Chinon Winder "PW 530" passen. Der AGFA Selectronic/Winder ist aber nicht nur optisch verändert, sondern auch bloß zwischen Einzelbild und Mehrfachaufnahme einstellbar, während der Chinon deutlich mehr bot:




Das Design ist für mich immer noch wirklich sehr schön und einzigartig:



Sehr groß sind teilweise die verschiedenen Systemblitzgeräte von AGFA, wie das AGFATRONIC 253 CS (hier die Kamera mit dem Blitz und dem sehr wertigen Hanimex Weitwinkelobjektiv 28mm f/2,8):


Das Gerät bot allerlei Einstellungen, aber die dort einschaltbare TTL Blitzmessung hatte die Kamera zum Beispiel gar nicht:



Der Reflektor war auf Weitwinkel drehbar:


Ich habe jetzt ein paar mal die nicht ganz so tolle Verarbeitung angedeutet. Das ist aber Jammern auf hohem Niveau. Wer schon viele (auch tolle) Kameras in der Hand hatte ist halt auch irgendwann verwöhnt. Eine Yashica FX-3 super 2000 etwa wurde eigentlich von Cosina hergestellt und macht einen etwas windigeren Eindruck, trotz großen Namens. Die AGFA Selectronics kann man von der Wertigkeit her in die untere Mittelklasse einstufen, von der reinen Funktionalität und Haltbarkeit her aber gehören sie zu den besseren Kameras, was doch sehr für Hersteller Chinon spricht. Die zwei hier gezeigten Modelle laufen wie frisch aus der Fabrik, obwohl um 40 Jahre alt. Die eine müßte bald mal abgedichtet werden, die andere ist selbst da noch gut. 
Wer eine eher einfache analoge Kamera in interessantem Design sucht, ist hier schon gut aufgehoben. Die Kamera gibt keine Rätsel auf und ist kinderleicht zu bedienen. Der einigermaßen helle Kleinbildsucher bietet rudimentäre Informationen und Schnittbildindikator samt Mikroprismenring. Der Auslöser ist einzigartig und ausschließlich bei AGFA zu finden, nicht nur bei den drei SLR Kameras. Objektive gibt es noch genug, dank dem weit verbreiteten Bajonett.


Ciao

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